Vor zehn Jahren wurde das stationäre Hospiz Elias in der Ludwigshafener Gartenstadt eröffnet. Vieles hat sich seitdem verändert - politisch, gesellschaftlich und hospizlich. Über 1.000 Menschen sind bisher hier verstorben, immer stehen Menschen mit akutem Bedarf auf der Warteliste für einen Hospizplatz. Das Jubiläum feierte die Ludwigshafener Einrichtung mit einem bunten Strauß an Veranstaltungen: Das Leitthema des stationären Hospiz "Leben - ein Leben lang" wurde dabei in das Motto "Lebens-Zeit" übertragen. Drei unterschiedliche Kunstrichtungen - Musik, Malerei, Wort - nehmen den letzten Lebensabschnitt als wertvollen Lebensinhalt und existenzielle Erfahrung des Menschen in den Fokus.
"Graffiti meets Hospiz"
Samstagvormittag mitten in Ludwigshafen: Auf dem Berliner Platz bleiben immer wieder Leute stehen, am Rundbau "Tortenschachtel" erklingt Hip Hop-Musik, Farbdämpfe wehen durch die Luft und ein besonderes Klackern ist zu hören, wenn die Spraydosen geschüttelt werden. Mehrere renommierte Graffitikünstler - darunter auch "Hombre" (Pablo Fontagnier), "Sonderskooler", "Moohee" (Muhittin Apay) "Crek" und "Cose" (Deniz Ilcin) - gestalten unter den interessierten Blicken der Vorbeikommenden mehrere großflächige Schaufenster des Ludwigshafener "Wahrzeichen" nach dem Motto "Lebens-Zeit" und schaffen dabei zum Hospizgedanken passende Kunstwerke, die das Ende des Rundbaus begleiten. Auch "Ambiance" (Hermann Middendorf), Lucas Merriam und andere Künstler haben sich spontan entschieden mitzumachen. Langsam ist der Fortschritt der sehr unterschiedlichen Werke zu beobachten. DJ Greg One (Gregor Grella, 37, aus Ludwigshafen) legt die passende Musik auf.
"Kommt da ein Hospiz rein?", ist immer wieder eine Frage, die Pflegedienstleiter Nicolas Kühn beantworten muss. Das ist nicht so, der Rückbau der Ludwigshafener "Tortenschachtel" hat bereits begonnen. Die vielleicht durch das große Banner mit dem Hospizlogo, das bereits in der Woche vorher das Gebäude ziert, hervorgerufene Frage ist oft der Anfang für sehr intensive und interessierte Gespräche, die der 29-Jährige, seine Kollegin Simone Ringeisen und der ehrenamtliche Hospizhelfer Charsten Wienbreyer bis zum späten Abend auf dem Berliner Platz führen.
Mit der Aktion "Graffiti meets Hospiz" am Rundbau mitten in der Ludwigshafener Innenstadt am 18. April wollte das Hospiz Elias unter anderem junge Menschen für den Hospizgedanken sensibilisieren, dies ist gelungen und noch viel mehr: Das bunte Treiben trifft auf großes Interesse, immer sind Menschen da, mal sind es 50 Zuschauer, mal nur drei. Auffallend viele Familien mit kleinen Kindern halten an und sprechen mit den Künstlern. Junge Leute versammeln sich, aber auch viele Ältere, schwer bepackt mit Einkaufstüten oder im Rollstuhl lassen sich verzaubern. Viele sind gezielt gekommen, weil sie in der Zeitung oder über Soziale Medien von dem Event erfahren haben.
Einer der interessiert Zuschauenden ist Heinrich Springer, 68, aus Schwetzingen. Er hat von einem Kollegen von der Aktion gehört und ist mit seiner Frau vorbei gekommen, um sie sich anzuschauen: "Hospiz ist etwas Positives. Die Graffitis sehen toll aus und es ist gut, dass dadurch auch junge Leute angesprochen werden", erklärt der ehemalige Ludwigshafener, der selbst ehrenamtlich in einem ambulanten Hospizdienst arbeitet und die "Tortenschachtel" noch als Kaufhof kennt. Die Menschen nehmen Anteil am Schicksal des Gebäudes, wird an diesem Tag deutlich. Ein älterer Mann zeigt Fotos, wie der Platz vor dem Bau der Tortenschachtel ausgesehen hatte. Eine Dame erzählt, wie ihre Mutter früher hier gearbeitet hat.
Marie - etwa fünf Jahre alt - will genau wissen, was hier entsteht und zieht ihren Vater von Künstler zu Künstler. Sie strahlt, als diese ihr die Bilder erklären. "Die Aktion ist metaphorisch für die Hospizarbeit: Der Rundbau wird bald nicht mehr da sein, jetzt soll er noch verschönert werden und wird dadurch bis zum Schluss wertgeschätzt", sagt Laura Winter. Die 27-jährige Studentin aus Mannheim ist Mitgründerin der "Creativity and artistic development foundation" (CAD), die "Graffiti meets Hospiz" mit ermöglicht hat. Die CAD fördert Künstler, die sonst keine Möglichkeit haben ihr Talent zur Schau zu stellen, damit sie mit der Gesellschaft in Dialog treten können, berichtet sie.
Pablo Fontagnier, "Hombre", ist eigens für die Aktion aus Nürnberg gekommen. Der 34-Jährige fühlt sich dem Hospiz und der Hospizidee stark verbunden und bringt als Zeichen für Wandlung, Vergänglichkeit und "Lebens-Zeit" ein Kleinkind und dessen Großmutter, die in Beziehung zueinander treten, auf die Scheibe. "In der Graffiti-Community wurde die Aktion sehr positiv aufgenommen, da die Kombination ungewöhnlich und das Thema herausfordernd und spannend ist", sagt der eigentlich aus Mannheim stammende bekannte Künstler. Zwischendurch nimmt er sich dabei immer wieder Zeit, um mit Passanten und Zuschauern zu sprechen. Deniz Ilcin, 28, "Cose", hält die Verbindung von Hospiz mit Graffiti für eine gute Sache. Sein Bild im Comicstil soll fröhlich sein und die Zuschauer positiv stimmen. Besondere Akzente setzt Danijel Lokas, 34, aus Mannheim, "Sonderskooler". Er schreibt akribisch und mit viel Hingabe ein Rilkegedicht über die Vergänglichkeit auf die Scheiben. Muhittin Apay, "Moohee", hat von einem Freund von der Aktion gehört und ist aus Interesse vorbei gekommen, jetzt gestaltet er ein großes Schaufenster. Ein Mädchengesicht soll entstehen. Immer wieder ergänzt und verändert er, trägt Farbe nach Farbe auf.
Auch Graffitibegeisterte kommen gezielt zum Berliner Platz. Steven Weiland nimmt sich den ganzen Tag Zeit, schaut, beobachtet, macht Fotos und ist "einfach nur begeistert". "Wenn eine solche Aktion in Ludwigshafen stattfindet und diese tollen Künstler hier sind, dann muss ich da sein", beschreibt der 21-Jährige, während er seinem Idol "Pablo" über die Schulter schaut. Der Ludwigshafener findet das Thema "cool". "Es ist sehr passend und tiefgründig. Graffiti auf der Straße ist ja auch etwas Vergängliches", ist sein Fazit.
Neben dem Bunten Logo von CAD, ist am Abend "Ambiance" zu lesen. Immer wieder bleiben Passanten stehen, um das Gedicht auf der schillernden Scheibe zu lesen, das "Sonderskooler" über mehrere Stunden aufgemalt hat. Dunkle geheimnisvolle Augen eines jungen Mädchens blicken die Zuschauer an, Schleier und Seifenblasen symbolisieren die Vergänglichkeit. Eine lustige Komikfigur sorgt für positive Stimmung, die ausgefeilten und bunten "Peaces" der anderen Writer sind echte Hingucker. Als Abschluss malt "Hombre" noch eine kleine Krone über das Baby, das seine Oma anlächelt.
Danke an alle Künstler, die sich an diesem Tag auf das Wagnis "Lebens-Zeit" eingelassen haben. "Graffiti meets Hospiz" wurde durch verschiedene Sponsoren ermöglicht, unter anderem zeigte sich auch der Bauträger sehr offen für die Idee. Herzlichen Dank dafür.