Tatort Internet

Psychische Folgen von Cybermobbing

Dr. med. Jochen Gehrmann, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, hielt vor kurzem zum aktuellen Thema: "Tatort Internet: psychische Folgen von Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen" ein Referat auf einer sehr gut besuchten und interdisziplinären Fachtagung an seiner früheren beruflichen Wirkungsstätte als leitender Oberarzt in Rotenburg (Wümme), südöstlich von Bremen.

Was ist eigentlich Cybermobbing und wie können Kinder und Jugendliche davor geschützt werden? Mit diesem aktuellen Thema hat sich am Dienstag, dem 12. Mai 2015, der Präventionsfachtag, der zum 11. Mal von der Rotenburger Polizei und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (Chefarzt Dr. med. Dipl. Psych. Bernhard Prankel; Dr. Gehrmann`s früherem Chef) ausgerichtet wurde, befasst. Dass die Veranstaltung auch überregional einen Namen hat, zeigt sich schon an den Ehrengästen, die den Vormittag mit ihren Grußworten einleiteten. Lüneburgs neuer Polizeipräsident, Robert Kruse, Sabine Reinicke, Direktorin des Amtsgerichts Achim und Vorstand der Opferhilfe, und Bürgermeister Andreas Weber fanden in ihren Eingangsstatements zum Teil sehr persönliche Worte, die die Gefahr von Verunglimpfung im Internet drastisch beschrieben.

Mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Polizei, Gesundheitssystem, Jugendhilfe und Schulen machten sich am Vormittag ein Bild über gesundheitliche und strafrechtliche Folgen dieser Form von Kriminalität im Internet.

Unser Chefarzt schilderte eingangs an einem anonymisierten und leicht abgewandelten Fall eines von ihm behandelten Kindes, das Opfer von Cybermobbing geworden war, die Symptomatik und die psychischen Folgen aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht. Anhand dieses konkreten Fallbeispiels betonte Dr. Gehrmann u.a. folgende zentrale Aspekte im pädagogischen bzw. therapeutischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die Opfer von Cybermobbing geworden sind.

  • Sichere Bindungen zwischen Kindern und Eltern, Schülern und Lehrern erlauben, die Nutzung neuer Medien, z.B. sozialer Netzwerke verantwortlich zu besprechen, um die Kinder bzw. Schüler zu schützen.
  • Eine gute soziale Integration im Klassenverband sowie sichere Bindungen an Mitschüler bzw. Freunde helfen, Belastungen zu bewältigen.
  • Eltern und Lehrer hinterfragen ihren eigenen Medienkonsum und werden ihrer Vorbildfunktion für die Kinder gerecht.
  • Im Umgang mit den neuen Medien lernt das Kind (weiterhin) respektvoll mit Gleichaltrigen und Erwachsenen zu kommunizieren und die eigene Privatsphäre gerade im Netz sicher zu schützen.
  • Das Opfer von Cybermobbing bittet zeitnah Eltern, Lehrer und Freunde um Unterstützung.
  • Das Opfer bzw. die Sorgeberechtigten sollten die Löschung der Daten beim Anbieter der Internetseite beantragen; seriöse Anbieter sollten die Option bieten, unseriöse und beleidigende Einträge zu melden.
  • Die Entwicklung von Medienkompetenz fördert zugleich die sozial-emotionalen Kompetenzen des Kindes, z.B. Selbstachtung auszubauen; angemessenes Durchsetzungsvermögen zu entwickeln, innere Bedürfnisse angemessen zu äußern, aber auch Grenzen zu setzen, Eigen- und Mitverantwortung zu übernehmen sowie reale Freundschaften und Freizeitaktivitäten zu entwickeln, bspw. im künstlerischen oder sportlichen Bereich.

Zur Prävention von bzw. im Umgang mit Cybermobbingattacken empfahl der Fachmann:

  • Die Eltern sollten sich (präventiv) bereits früh mit den Internetgewohnheiten des Kindes befassen.
  • Das Thema und der Erwerb von Medienkompetenz muss strukturell bereits in der Lehrerausbildung verankert werden.

Anhand aktueller Studien zum Medienkonsum von Schülern und Schülerinnen in Deutschland, so der Studie der Universität Karlsruhe, Mai 2013 (Hauptautoren: Christoph Schneider, Dr. Catarina Katzer, Uwe Leest) "Cybermobbing bei Schülerin­nen und Schülern. Eine empirische Bestandsaufnahme bei Eltern, Lehr­kräften und Schülern/innen in Deutschland" (http://www.buendnis-gegen-cybermobbing.de­Studie/cybermobbingstudie.pdf), setzte Dr. Gehrmann das am verfremdeten Fallbeispiel Aufgezeigte dann in einen empirisch belegbaren Kontext.

Kommunikationswege haben sich seit etwa einer Generation grundlegend verändert: Gegenwärtig tauschen sich mehr als 90 Prozent der Schüler mehrfach am Tag auf sozialen Netzwerken wie Facebook aus. Mehr als 60 Prozent der Eltern kontrolliere dabei den Medienkonsum ihrer Kinder kaum. Mögliche psychische Folgen für Opfer von Cybermobbing seien u.a. Gefühle der Unkontrollierbarkeit, Hilflosigkeit, Selbstbeschuldigungen, Isolation/Einsamkeitsgefühle, Ängste, Traurigkeit, Depression bis hin zu Selbstmordgedanken und -versuche, Beziehungsprobleme, psychosomatische Beschwerden, ein gestörtes Essverhalten und Leistungsabfall in der Schule bis hin zur Schulvermeidung.

Plastisch erlebten die Gäste des Fachtags nach einer Pause dann das Theaterstück "Click it!" des Kölner Theaterensembles "Zartbitter." Was als jugendliche Spielerei mit selbstgefertigten Videos und Interviews begann, wurde sehr schnell zu zusammengeschnittenen Szenen, die auf Facebook eingestellt wurden. Dabei gerieten die Hauptdarsteller in einen Strudel von Verunglimpfungen, Beleidigungen bis hin zur handfesten Bedrohung.

Die strafrechtliche Seite von Cybermobbing wusste Staatsanwältin Alexandra Stöber, Staatsanwaltschaft Verden, in ihrem Vortrag aufzuhellen. Ob es sich bei einigen von ihr vorgestellten Strafverfahren, die über ihren Schreibtisch gewandert sind, bereits um Gewalt in einem strafrechtlich relevanten Maße handelte, sei oft schwierig zu beurteilen; zumal Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr in Deutschland strafunmündig seien. Die Juristin verdeutlichte anhand der tatsächlich angezeigten Fälle die Abstufung von Beleidigung, Nötigung bis hin zur Erpressung.

Dass neben den rechtlichen Konsequenzen für die zum Teil noch jugendlichen Täter auch die Opfer nicht selten psychische Verletzungen bis hin zur Traumatisierung erleiden, zeigten die Beiträge des Vormittags in aller Deutlichkeit.

Text: Heiner van der Werp, Polizeiinspektion Rotenburg (Wümme), Dr. med. Jochen Gehrmann

Foto: Heiner van der Werp, Polizeiinspektion Rotenburg (Wümme)

links nach rechts: Chefarzt Dr. med. Bernhard Prankel, KJP Rotenburg (Wümme); Sabine Reinicke, Direktorin Amtsgericht Achim; Thomas Teuber, Polizeihauptkommissar; Karin Stabbert-Flägel, Kriminalhauptkommissarin; Chefarzt Dr. med. Jochen Gehrmann; Robert Kruse, Polizeipräsident Lüneburg; Alexandra Stöber, Staatsanwaltschaft Verden (Aller); Andreas Weber, Bürgermeister Rotenburg (Wümme); Burkhard Klein, Polizeidirektor, Leiter Polizeiinspektion Rotenburg (Wümme)

Gemeinsam gegen Cybermobbing