Stefan Müller stöhnt laut. Die Mitarbeitenden des Rettungsdienstes übergeben den 56-Jährigen gerade an das Team im Schockraum in der Zentralen Notaufnahme im Ludwigshafener St. Marienkrankenhaus. Wichtige Informationen werden dabei ausgetauscht. Der Mann fühlte sich unwohl, nachdem ihm sein Hausarzt Penicillin verschrieben hatte, auch eine COPD, die die Funktion der Lunge beeinträchtigt, ist als Vorerkrankung bekannt.
Keine Sorge, das Szenario ist nicht echt, denn es wird trainiert und Stefan Müller ist eine Puppe. Das Team aus Pflegenden und Medizinern wurde für die Übung unter echten Bedingungen neu zusammengesetzt und hat noch wenig Erfahrung. Aber das wird sich in den kommenden Stunden ändern.
Die Spannung im Schockraum steigt, die Geräte, an die der Patient angeschlossen ist, piepsen, immer wieder werfen Mediziner und Pflegekräfte besorgte Blicke auf die Kurven von Atmung, Herz und Sauerstoffsättigung. Der Patient kommt immer weiter in Bedrängnis. Allen ist klar, hier liegt ein allergischer Schock vor und Herz und Atmung werden versagen. Deshalb wird das erweiterte Schockraumteam des Hauses mit weiteren Medizinern und Pflegenden zur Hilfe gerufen. Und dann sind sieben Personen im Raum und arbeiten an verschiedenen Problemen gleichzeitig. Gar nicht leicht, für den jungen Mediziner, dem die Aufgabe der Schockraumleitung durch die Organisatoren übertragen wurde, hier den Überblick zu behalten. Kommen die Anordnungen an? Weiß jeder, was passiert, wie die Situation von Herrn Müller gerade ist und welche Aufgaben zu erledigen sind?
Training im Schockraum unter echten Bedingungen
„Medizinisch wurde unseren Mitarbeitenden von den Trainern ein sehr gutes Niveau bescheinigt. Viele Probleme in der Notfallversorgung werden allerdings durch unbeabsichtigte Lücken in der Kommunikation hervorgerufen. Das wollten wir mit dem ganzen Team üben“, schildert Dr. Martin Schulz, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im St. Marien- und St. Annastiftskrankenhaus, den Hintergrund für das oben Geschilderte. Er und sein Kollege Michael Engel, Leiter der präklinischen Notfallmedizin im St. Marien- und St. Annastiftskrankenhaus, haben gemeinsam mit der externen Firma Sim.Impuls das Training unter Echtbedingungen mit Simulator vorbereitet. Dabei haben sie verschiedene Szenarien mit Patientengeschichten, Notfallsituationen und Krankheitsbildern gewählt, die zum Alltag in Notaufnahmen gehören.
Mit jeweils einem fachlichen Schwerpunkt wurden drei ganze Tage herausfordernde Notfallszenarien mit allgemeinen sowie unfallchirurgischen, internistischen und pädiatrischen Inhalten trainiert. Für Realität sorgte die nach dem jeweiligen medizinischen Problem und Krankheitsbild vorbereitete „Übungspuppe“ (Patientensimulator) im Wert von über 100.000 Euro, die durch den Rettungsdienst als Notfall angekündigt und an das Team im Schockraum übergeben wurde. Wer nicht im direkten Einsatz war, konnte die Vorgänge über Video verfolgen. Nach den jeweiligen Szenarien erfolgte eine ausführliche Besprechung in der großen Runde.
Notaufnahme versorgt verunglückte Schulkinder
Gleichzeitig war die Notaufnahme voll einsatzfähig. Dabei wurden nicht nur Notfälle betreut, sondern auch reale Schockraumalarmierungen sowie eine MANV-Alarmierung (Verunglückter Schulbus am 20.09.24) mit drei gemeldeten und tatsächlich sieben eingelieferten Kindern im schulpflichtigen Alter souverän abgearbeitet, ist den Verantwortlichen wichtig.
Kommunikation im Fokus
Auch Stefan Müller kann nach erfolgreicher Reanimation, Adrenalingabe und vielen weiteren Maßnahmen zur Stabilisierung aus dem Schockraum auf die Intensivstation verlegt werden. Langsam fällt die Spannung vom Team ab. Während der Übung haben alle vergessen, dass sie einer Puppe das Leben gerettet haben und dabei über verschiedene im Raum verteilte Kameras von Kollegen und Ausbildern beobachtet wurden. Und sie haben viele Fragen, sehen ihr Handeln selbstkritisch und haben sich teilweise in der Situation auch nicht sicher oder wohlgefühlt. All dies wird in der ausführlichen Nachbesprechung mit allen Teilnehmenden und Zuschauenden angesprochen. Die Organisatoren betonen dabei immer wieder, wie wichtig innehalten, reflektieren, kommunizieren und nachfragen ist. Unterstützend spielen sie verschiedene Filmsequenzen vom Geschehen vorher ein, was die Botschaft noch einmal deutlicher macht.
„Neben den medizinischen Fragestellungen und Herausforderungen, die durchweg sehr professionell gelöst wurden, lag unser Schwerpunkt auf der Organisation und der Kommunikation innerhalb des Teams. Das ist gerade bei Schockräumen mit mehreren Fachabteilungen und vielen helfenden Händen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung“, verdeutlicht der erfahrene Notfallmediziner Dr. Schulz.
Und schon wird die nächste Gruppe in den Notfallsimulator eingewiesen und erfährt, was die Puppe kann und was nicht. Körpertemperatur und Hautfarbe beispielsweise müssen bei den Organisatoren nachgefragt werden. Andere wichtige Symptome wie ein hängendes Augenlid können dagegen erfolgreich simuliert werden.
Jeder im Team hat eine wichtige Rolle
„Ich habe durch die Simulation, das Üben gestern und heute und vor allem die Nachbesprechungen ganz viel Sicherheit bekommen“, berichtet Ela, die nach ihrem Pflegeexamen neu in der Zentralen Notaufnahme angefangen hat. Nachfragen, Überprüfen, meine Zweifel anbringen und auch einmal Stopp rufen, das habe ich gelernt, ergänzt ein Mediziner aus dem ersten Anerkennungsjahr. Aber auch alte Hasen in der Notfallversorgung nehmen viel, für sich mit, betonen Befragte. Alle sind sich einig, dass sie sehr von den Szenarien im Schockraum, aber auch vom Beobachten und den Reflexionen danach profitiert haben und eine Wiederholung unbedingt sinnvoll sei.
Kurz danach nimmt Ela souverän den Anruf von der Leitstelle entgegen, die einen neuen Notfallpatienten für den Schockraum ankündigt, fragt mehrfach nach und macht sich Notizen. Dann ruft sie das Team zusammen und brieft die Kolleginnen und Kollegen, was sie mit dem nächsten Patienten erwartet. Die Wartezeit bis zur Übergabe nutzt das Team zur Vorbereitung verschiedener Medikamente und zur letzten Überprüfung der Geräte, Kabel und Monitore.
Fazit nach drei intensiven Tagen
„Es freut uns besonders, dass wir von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein durchweg positives Feedback erhalten haben. Die anfängliche Unsicherheit und Skepsis war spätestens nach dem ersten Szenario durchbrochen und so haben alle Beteiligten eine extrem steile Lernkurve gespürt und bestätigt“, beschreibt Dr. Martin Schulz. Alle haben verstanden, wie wichtig ihre Rolle und ihre Funktion im Team sei und dass auch Berufsanfänger genauso die Verpflichtung haben, eine Beobachtung zu äußern oder auf ein Problem hinzuweisen, wie erfahren Kolleginnen und Kollegen. Insgesamt haben 72 Mitarbeitende verschiedenster Berufsgruppen, wie Ärzte, Pflegekräfte, Pflegeauszubildende, Verwaltungsmitarbeitende, Famulations- oder PJ-Studenten sowie Rettungsdienstangehörige teilgenommen. Dabei waren vor allem die Fachgebiete Anästhesie, Allgemeinchirurgie, Innere Medizin, Orthopädie/Unfallchirurgie sowie Kinderheilkunde vertreten.
„Wir wollen mit diesem Training die Versorgung auch schwer kranker, uns anvertrauter Patientinnen und Patienten auf höchstem medizinischen Niveau weiterhin sicherstellen“, zieht der Chefarzt der Zentralen Notaufnahme Dr. Martin Schulz müde, aber sehr zufrieden das Fazit. Mit dem Schockraumtraining in diesem Jahr ist das gelungen.